32C3: Das Engelsystem
Statt bezahlte Helfer setzt der Chaos Communication Congress auf das Engelsystem. Dort kann sich jeder Besucher anmelden und Arbeiten übernehmen. Die Arbeit ist in Schichten aufgeteilt, es gibt verschiedene Engeltypen.
Für einen Vortrag braucht’s zum Beispiel Mikrofonengel, die sich um die Mikrofone kümmern; Signalengel, die Beiträge und Fragen aus dem Internet in der Fragerunde vorlesen; Untertitelengel, die den Vortrag transkribieren; Videokameraengel, die hinter der Kamera stehen und die Anweisungen des Videomixerengels befolgen, der die Videoquellen am Schnittpult auswählt.
Und das ist toll! Engel zu sein und seinen Beitrag zum Kongress zu leisten macht richtig viel Spass. Der Charme, dass jeder Teilnehmer jeden Job übernehmen kann, der an so einer Veranstaltung anfällt – als Ansager, in der Bar Getränke austeilen, hinter den Kulissen in der Küche arbeiten, Kameras bedienen, Flaschen einsammeln und sortieren – da ist so ein Mitmachgefühl dabei, dass wir das selber können und dürfen, wir, die Besucher. Das ist gelebte Anarchie. Jeder kann alles werden. Gut, gewisse Aufgaben erfordern eine Einarbeitung – aber es steht jedem offen. Es gibt fast gar keine Hierarchie, dafür ein gut organisiertes Miteinander.
Arbeiten in der Küche
Es ist Tag 2. Ich schlendere durch die Hallen und Gänge des Kongresszentrums. Nichts zu tun, keine spannenden Vorträge, keine Gesprächsgruppen, zu denen ich mich dazusetzen möchte, alle sind verstreut. 17 Uhr. Eigentlich wäre jetzt die Gelegenheit, spontan eine Engelschicht zu übernehmen. „Food – 2 helpers needed. Description: Prepare food and help with services sourding the food dispensing.“ Das tönt doch eigentlich ganz ok. Gut, muss man da kochen können? Ich kann gerade mal Steinpilzrisotto zubereiten – ob das reicht? Ich bin kein Koch! Sogleich kommen Zweifel auf. Was soll ich in einer Küche, bin ich da am richtigen Ort?
Signup. Jetzt bin ich gebucht, und es gibt kein zurück mehr. Um 18:00 fängt die Schicht an. „Wo geht’s zum Backstage-Kitchen?“ frage ich im Himmel. „Vor dem Pressezentrum durch die unbeschriftete Tür, dann den Fahrstuhl in den 2. Stock nehmen, ab da ist es angeschrieben.“
Mein Weg führt hinter die Kulissen des Kongresszentrums, über Treppen, Gänge und Abbiegungen hindurch. Da ist ein grosser Raum mit Vorhängen. Davor redet jemand – oh, das ist Saal 1 und da läuft grad ein Vortrag, ich sehe es von der anderen Seite! Vor mir der Redner und das Publikum. Wenn die wüssten… 🙂
Schliesslich gelange ich zur Küche, wo ich auf weitere Engel stosse. Von unserem Vierergrüppli sind ebenfalls alle neu in der Küche. Wir werden instruiert, uns gründlich die Hände zu waschen und zu desinfizieren. Da sind zwei A4-Seiten über das Händewaschen am Spiegel ausgedruckt und die ganze Prozedur dauert etwa zwei Minuten. Dann geht’s weiter in die Küche, wo wir gestrichene Brötchen mit Gurken, Salat und Tomaten belegen dürfen.
Ein Mädchen aus Bulgarien hilft mir dabei. „Wie heisst du und womit beschäftigst du dich?“, fragen wir uns gegenseitig, während der Berg an unbelegten Broten immer kleiner wird. „Panu“ glänzt auf ihrem Namensschild. Draussen ist es dunkel. Wir beschnuppern uns und blödeln herum, die Atmosphäre ist locker. Die anderen erzählen aus einem Vortrag, den sie gestern gesehen haben. Was für ein Zauber! Wir alle kommen hierhin, ohne uns zu kennen, und arbeiten für diese kurze Zeit an der gleichen Sache. Engeln ist toll! Da lernt man Leute kennen, ohne dass dafür spezielle soziale Fertigkeiten erforderlich wären. Peinliche Gesprächspausen aus Mangel an Gesprächsthemen und das „nicht mehr wissen, was ich fragen soll“ versanden in der Arbeit, die man tut. Ein soziales Setting für Nerds – wundervoll!
„Das war’s auch schon, alle Brote sind belegt.“ Huch, nach einer Stunde schon? Der Küchenengel bestätigt, und ermuntert uns zum aufwischen und reinigen. „Hey, it’s my turn now!“ unterbreche ich Panu, während sie bereits die zweite Länge mit dem Aufzieh-Lappen fahren will. Wir wechseln uns gegenseitig ab – jeder eine Länge. „I can cheerlead you“, meint sie und fängt sogleich an, zu tanzen und mir gut zuzurufen, während ich mit dem nassen Besen den Raum herunterfahre. Was für ein Gaudi!
Alle strahlen. „Morgen backen wir Kuchen – seid ihr wieder dabei?“ UND OB!
Am nächsten Tag war die angekündigte Kuchenbackschicht zwar voll, doch wir gingen trotzdem hin. Die Kuchen sind Nussecken, die wir nun zubereiten. Rohe Gewalt beim Teigkneten auslassen, und dabei das Gelächter der herumstehenden Engel ernten. Sich gegenseitig mit dem Löffel füttern, während gerade niemand schaut – verschmitzt lachen, den Teig geniessen und dann das Gleiche für das Gegenüber tun. Wie untechnisch alles ist, ganz ohne Computer und Daten – und wir haben einen Riesenspass.
Ich ging noch ein drittes Mal in die Küchenschicht, danach ist der Kongress zu Ende. 9h Engelarbeit insgesamt, tolle Erlebnisse und Anekdoten und ein grosses Miteinander mit vielen lieben Menschen bleiben mir für immer in guter Erinnerung.
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