Über Hochsensibilität
„Highly sensitive persons“ sind Menschen, die besonders sensibel auf ihre Umwelt reagieren. Diese besondere Empfindsamkeit war lange eine hoch geschätzte Eigenschaft,
heute jedoch haben diese Personen es oft schwer in der Gesellschaft, da sie einen besonderen Temperamentstypus haben: Sie verarbeiten Informationen tiefer, nehmen unterschwellige Reize besser wahr, sind dadurch aber auch anfälliger für Irritationen.
In den meisten Kulturen, so die Psychologin Elaine Aron, hatten sensible Menschen ihren angestammten Platz, waren sie die eine von zwei Führungsklassen. In alten Zeiten waren sie Priester oder königliche Berater, während die anderen sich als Herrscher und Krieger hervortaten. Heute aber, so Aaron weiter, „erobern in den westlichen Kulturen die Nichtsensiblen immer mehr Terrain.“ In China etwa wird den Hochsensiblen Schülern höchste Achtung entgegengebracht, während sie in Kanada ganz unten in der Hierarchie der Schulklasse stehen.
Für das Verdrängen der Hochsensiblen bezahlt jede Gesellschaft früher oder später einen hohen Preis. Dinge und Stimmungen wahrnehmen zu können, die an anderen Menschen vorübergehen, kann eine enorme Bereicherung sein. Diese Fähigkeit bildet die Basis für Intuition, Kreativität, viele gute Ideen und einfühlsame Kommunikation. Andererseits hat solche Intensität auch ihre Nachteile: „Um sechs Uhr abends werde ich müde und brauche meine Ruhe“, sagt Aron. „Andere Menschen können dann weitermachen, aber ich muss mich zurückziehen, weil mein Gehirn viel mehr Anregungen verarbeitet hat.“
Die 2 Seiten der Sensibilität
Viele Hochsensible haben es schwerer, den richtigen Beruf zu wählen, Freunde zu finden und generell ein hohes Selbstbewusstsein und Selbstwertgefühl aufzubauen. Mehr als andere müssen sich Hochsensible mit ihren seelischen Verletzungen auseinandersetzen, da sie diese nicht einfach vergessen oder ignorieren können.
Seelische Krisen bewältigen sie oft weder leicht noch schnell. Jede Lebenskrise geht mit hohem Streß einher; das gilt zunächst unabhängig von der Sensibilität. Da Hochsensible auf Streß aber leichter als andere mit Überreizung reagieren, kann sie auch eine solche Krise tiefer treffen und bei ihnen eher zu Angststörungen, Schlafstörungen oder Depressionen führen.
Im Beruf werden sie bei Beförderungen oft übergangen, und das, obwohl sie verantwortungsbewusst, kreativ und projektorientiert sind. Hochsensible können ihre Kompetenz oft nicht zeigen, wenn sie bei der Arbeit beobachtet werden oder unter Zeitdruck stehen.
Dabei sind sie im allgemeinen sehr gewissenhaft und haben die Fähigkeit, sich tief zu konzentrieren. Besonders gut schneiden sie bei Aufgaben ab, die Schnelligkeit, Wachheit und Genauigkeit erfordern. Hochsensible sind besonders gut darin, schon kleine Unterschiede zu entdecken.
Vor allem bemerken Hochsensible, dass sie nicht so viele Reize wie andere tolerieren können. Was für Nicht-Hochsensible eine mittel-starke Erregung ist, kann bei Hochsensiblen zur Übererregung führen.
Sie vergessen leicht, welche wunderbaren Vorteile es hat, hochsensibel zu sein: kreativ zu sein, ein tiefes Verständnis für sich und andere zu haben, sehr feinfühlig und sanftmütig sein zu können. Sie können sich berühren lassen von den Gefühlen und Stimmungen anderer Menschen, sind sehr einfühlsam und haben ein gutes Gespür für subtile Botschaften. Hochsensible reflektieren insgesamt mehr und sind in der Lage, feine Unterscheidungen zu treffen. Sie nehmen stärker wahr, was unter der Oberfläche abläuft, sind meistens intuitiv veranlagt. Oft wissen sie einfach, was vor sich geht, können aber nicht sagen, wie sie dazu gekommen sind. Sie haben oft den sog. sechsten Sinn sowie eine visionäre und künstlerische Begabung.
Dies zeigt sich schon im sehr kleinen Rahmen: Die meisten Leute, die einen neuen Raum betreten, nehmen die Möblierung wahr und die Menschen, die sich darin befinden. Betritt eine hochsensible Person einen solchen neuen Raum, so wird sie unweigerlich weitaus mehr wahrnehmen (müssen): die Stimmung im Raum insgesamt, Sympathien und Antipathien zwischen den Anwesenden, den Geruch im Raum und unter Umständen wird sie sogar den Charakter der Person ahnen, die den Teppichboden ausgewählt hat.
Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass es für Hochsensible nicht nur die „Stress-Seite“ gibt, sondern dass diese Menschen wunderbare und außergewöhnliche Fähigkeiten haben, die genauso selten sind, wie ihre geringe Reiztoleranz. Hochsensibel zu sein hat eben zwei Seiten, wobei es die eine nicht ohne die andere gibt. Welche der beiden Seiten überwiegt, ist abhängig von der Situation, in der man sich befindet.
Hochsensibel in einer modernen Gesellschaft
In unserer Kultur wird Sensibilität nicht hoch geschätzt. Sie entspricht nicht dem Ideal, das wir in unserer Gesellschaft aufgestellt haben. Dies bekommen hochsensible Menschen von klein auf zu spüren – über Eltern, Verwandte, Schulkameraden, Arbeitskollegen und über die Medien. Vergleichende Studien haben gezeigt, dass in Ländern wie China oder Schweden Sensibilität weitaus mehr Wertschätzung erfährt und diese dann auch den Trägern dieser Eigenschaft entgegengebracht wird.
Hochsensible passen nicht in das Bild des modernen, harten und immer aus sich herausgehenden Menschen. Entsprechend oft fühlen sie sich daher als Außenseiter und haben das Gefühl, nicht wirklich dazuzugehören. In ihren Umfragen fand E. Aron heraus, dass ca. 20% der Bevölkerung extrem bis ziemlich sensibel sind, 22% mäßig, 8% wenig und 42% gar nicht sensibel sind. Das Gefühl, nicht recht in die Gesellschaft hineinzupassen, lässt sich somit aufgrund dieser Daten empirisch untermauern.
Hochsensible sind vorsichtiger, in gewisser Weise langsamer und mehr nach Innen gerichtet als die meisten anderen. Besonders wichtig ist für sie ausreichend Zeit alleine und in Ruhe zu verbringen. Dies wird von den meisten Nicht-Hochsensiblen missverstanden als Ängstlichkeit, Schüchternheit, Schwäche und Ungeselligkeit – alles Begriffe, die in unserer Gesellschaft nicht positiv besetzt sind.
Oft versuchen Hochsensible, ihre Sensibilität zu überwinden und probieren, so stark, unabhängig und gesellig wie andere zu sein. Dies gelingt aber nicht dauerhaft und führt zu neuer Überreizung. Viele Hochsensible übernehmen dann für sich selbst negativ bewertete Attribute wie schüchtern, introvertiert, gehemmt. Vielen Nicht-Hochsensiblen erscheinen die Hochsensiblen als unglücklich und launisch, weil sie so viel Zeit alleine verbringen und über so komplizierte Dinge wie den Sinn des Lebens nachdenken. Hochsensible macht es ihrerseits nicht zufriedener, wenn sie von anderen mitgeteilt bekommen, wie schrecklich unglücklich sie seien.
Hochsensible Menschen haben ihren eigenen Verhaltensstil, der von dem der Mehrheit abweicht. Sie leisten als SchriftstellerInnen, PhilosophInnen, KünstlerInnen, ForscherInnen, TherapeutInnen, LehrerInnen und in vielen weiteren Bereichen einen bedeutenden Beitrag für unsere Gesellschaft.
Sensibel sein in einer unsensiblen Welt
Ihr ganzes Leben über dachten Sie, dass etwas mit Ihnen nicht in Ordnung ist. Sie fühlten sich sehr unwohl bei Lärm. Niemand hat verstanden, dass Sie ein Bedürfnis haben, alleine zu sein. Sie haben über Dinge Bescheid gewusst, ohne dass man mit Ihnen darüber reden musste. Die gute Nachricht ist, dass Sie nicht an einer Fehlfunktion leiden. Sie sind eine hochsensible Person (HSP). Sie sind nicht allein; sie teilen diesen Wesenszug mit einer kleinen Minderheit unserer Gesellschaft, die als schüchtern oder ängstlich betrachtet wird.
Reizüberflutung
HSPs reagieren stark auf externe Reize, deren Aufnahme und Verarbeitung bei Ihnen zur Erschöpfung führt. Sie wurden mit einem Nervensystem geboren, das es ihnen erlaubt, mehr zu sehen, zu hören, zu riechen oder zu fühlen als andere. Als Erwachsene können sie mehr denken, reflektieren oder bemerken. Die Verarbeitung der Reize erfolgt dabei meistens unbewusst oder körper-bewusst. HSPs fühlen sich von klein auf fehlerhaft, besonders wenn laute Musik, Menschenmengen oder einfach ein turbulenter Tag sie stressen. Sie brauchen Zeit in Ruhe für sich alleine, um sich wieder zu erholen.
Kindheit
Probleme kann es schon in der Kindheit geben, wenn ihre Sensibilität nicht erkannt wird. Sie können tiefe Traumata erfahren. Hochsensible Babies sind friedlicher, wenn sie alleine sind. Bestimmte Leute jagen ihnen Angst ein, aufziehbares Spielzeug erregt sie, Schaukeln irritiert sie und ein Wetterwechsel macht sie unruhig. Einige neigen zu Koliken und ihr Verdauungssystem toleriert keine Nahrung, die zu heiss oder zu kalt ist. Wenn die Bedürfnisse des Babies nicht befriedigt werden, wird es unsicher. Sensible Babies sind auch sehr kreativ und wach. Einige fangen sehr früh an zu laufen, andere lachen sehr viel. Für sensible Babies und Kleinkinder kann die Neuheit der Dinge zu einer sensorischen Überlastung führen. Wenn die Kinder alt genug sind, verbringen sie Zeit alleine, um ihre Energie und ihr Gleichgewicht wiederzuerlangen.
What works – and what doesn`t
Das extreme Gespür und die große Offenheit für ihre Umwelt macht HSPs vorsichtig. Jede Veränderung kann schwierig sein. Sie sind nicht bekannt für schnelles Handeln. Sie sehen die Konsequenzen von Worten oder Handlungen voraus. HSPs können zutiefst fröhlich sein, aber unfähig, dies auszudrücken. Sie werden als gehemmt und ungesellig betrachtet. Sie mögen keine Geselligkeiten und bevorzugen intime Gespräche unter vier Augen. Anstatt sich zu zwingen geselliger zu sein und sich besser anzupassen, müssen HSPs lernen, ihre Sensibilität wertzuschätzen und entsprechend mit ihr umzugehen. Wenn sie sensibel sind gegenüber grellem, fluoreszierendem Licht, chemischen Gerüchen oder bestimmten Menschen, dann müssen sie ihre Kreativität einsetzen, um Wege zu finden, diese Reize zu vermeiden. HSPs versuchen oft, sich zu verstecken. Sie erkennen dabei kaum, dass viele andere Leute auch diesen Wesenszug haben. Mit jemandem in Ruhe zu essen und sich über spirituelle Themen zu unterhalten kann für sie der Himmel der Intimität sein. Es ist für sie entlastend zu akzeptieren, dass sie einfach lange Spaziergänge in der Natur genießen – und eben kein Tennis-Match.
Beziehungen
Ihre Tendenz sich zurückzuziehen bringt Beziehungsschwierigkeiten mit sich. HSPs wenden sich nach Innen, um sich gegen das zu schützen, was sie erleben. Beziehungen von gegenseitigem Respekt bieten ihnen einen sicheren Hafen der Übereinstimmung und Akzeptanz. HSPs müssen aufpassen, sich nicht zu sehr an den Wünschen der anderen zu orientieren. Ein geringes Selbstbewusstsein kann zu der Gewohnheit führen, die Bedürfnisse der anderen Person zu befriedigen. Dies kann so weit führen, dass sie sich letztlich überwältigt und einsam fühlen in einer Beziehung, die sie nicht beenden können.
Die Fähigkeit eines sensiblen Menschen, subtile Signale des anderen wahrzunehmen, beeinflusst die Kommunikation. Obwohl sie sich auf das einlassen können, was in der Beziehung abläuft, können sie es oft entweder nicht sagen oder sie platzen mit einem negativen Urteil heraus. In solchen Momenten agieren sie ihre eigenen früheren Erfahrungen aus, nämlich gedemütigt zu werden für ihre Sensibilität.
Der Ausweg aus diesem Dilemma besteht darin, dass sie sich ihrer eigenen gewohnheitsmäßigen Reaktionsweisen bewusst werden und sich mehr Zeit zum Alleinsein nehmen. Sie brauchen Partner, die diese Strategie akzeptieren. Unter Umständen benötigen sie eine schlaflose Nacht, um sich darüber klar zu werden, was sie bezüglich einer bestimmten Sache fühlen.
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