Der Turm von Basel
Der Turm von Basel ist der Sitz der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich. Was hinter seinen Mauern geschieht, ist ein gut gehütetes Geheimnis. Die Organisation hat einen Nazihintergrund.
Der Turm von Basel – der Hauptsitz der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich nahe dem Bahnhof.
Er ist mitten in der Stadt – und doch unerreichbar: Das Gebäude der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) wird auch der «Turm von Basel» genannt. Der Bau aus den 70er-Jahren liegt direkt neben dem Hauptbahnhof am Centralplatz 2 und ist eines der Wahrzeichen der Stadt. Trotzdem bekommt kaum jemand sein Inneres zu Gesicht. Der Zugang beschränkt sich weitgehend auf die rund 600 BIZ-Mitarbeiter und Angestellten von Notenbanken.
Für Normalsterbliche könnte der Turm auch auf dem Mond stehen. Er befindet sich auf extraterritorialem Gelände, Schweizer Behörden dürfen ihn nur mit Genehmigung betreten. Das Gebäude hat seinen eigenen Schutzbunker, ein eigenes Minispital und ein weit verzweigtes Untergrundarchiv. Wenn sie überhaupt Zutritt erhalten, werden Besucher stets von Wachpersonal begleitet. Das kommt nicht von ungefähr. Der «Tower of Basel», so die These von Adam LeBor in seinem gleichnamigen Buch, sei nicht mehr und nicht weniger als die «geheime Bank, die die Welt regiert».
Dabei wissen die meisten Leute nicht einmal, was die BIZ den ganzen Tag treibt. Selbst wirtschaftlich versierte Menschen zucken mit den Achseln und murmeln etwas von «Zentralbank der Zentralbanken» – was immer das auch sein mag. Für den Durchschnittsschweizer ist die BIZ eine von vielen internationalen Organisationen, die ihren Sitz in der Schweiz haben – wie die Fifa, das Olympische Komitee oder das IKRK. Aber eine geheime, unglaublich mächtige und unglaublich reiche Bank? LeBors These klingt im ersten Moment nach einer paranoiden Verschwörungstheorie. Doch ist etwas Wahres dran?
Nazigrössen an der Macht
Die BIZ wurde im Frühjahr 1930 gegründet, und zwar aus einem simplen Grund: Sie regelte die Reparationszahlungen der Deutschen nach dem Ersten Weltkrieg. Damit Deutschland und Frankreich sich dabei nicht in die Haare geraten konnten, wurde der Sitz in die neutrale Schweiz verlegt. Und damit die Politik sich nicht einmischen konnte, wurde das Institut mit einem undurchdringbaren juristischen Regelwerk eingeigelt.
Treibende Kräfte hinter der BIZ waren die mächtigsten Zentralbanker dieser Zeit: Montagu Norman, der Gouverneur der Bank of England, und Hjalmar Schacht, Präsident der Deutschen Reichsbank. Normans Stellung war vergleichbar mit derjenigen des Präsidenten der US-Notenbank von heute – er war der mächtigste Zentralbanker der Welt. Sein Verhältnis zu Schacht war freundschaftlich. Die beiden trafen sich auch privat regelmässig. Schacht seinerseits besass in Deutschland den Status eines Halbgottes. Er hatte mit der Rentenmark die Hyperinflation der 20er-Jahre besiegt. Später schaffte er die wirtschaftlichen Voraussetzungen für das Dritte Reich.
Norman und Schacht verfolgten allerdings von Anfang an noch andere Ziele – sie wollten mehr als Kriegsschulden begleichen. Schacht wollte überhaupt keine deutschen Zahlungen mehr leisten, und Norman wollte einen Club gründen, der über den Niederungen der Politik schwebte und technokratische Lösungen für das Wohl der Menschen erarbeitete. «Die Zentralbanker bildeten eine globale Bruderschaft, vereint durch gemeinsame Banden, welche die niederträchtigen nationalen Interessen transzendierten», schreibt LeBor. «In einer Ära, in der Nationalismus die alte europäische Ordnung auseinanderriss, konnte so vielleicht der Transnationalismus der Banker für ein bisschen Frieden sorgen.»
Aus diesem Traum wurde nichts. Die BIZ entwickelte sich nicht zu einem Gentlemen’s Club für Technokraten, sondern bald zu einem Gremium, in dem sich nationale und geschäftliche Interessen aufs Übelste vermischten. Schacht schleuste wirtschaftliche Nazigrössen an die Schalthebel der Macht. Dazu gehörte etwa Kurt von Schröder, einer der wichtigsten Nazibanker. Oder Hermann Schmitz, Chef des Chemiekonzerns IG Farben. Dieser betrieb unter anderem eine Fabrik zur Herstellung von synthetischem Benzin beim Konzentrationslager in Auschwitz, in dem Häftlinge systematisch zu Tode gequält wurden. Nach dem Krieg wurde IG Farben aufgeteilt in BASF, Bayer, Hoechst und Cassella.
IG Farben war zu der Zeit für die Amerikaner geschäftlich höchst interessant. Unternehmen wie Standard Oil und Ford, aber auch Banken waren mit substanziellen Summen beim deutschen Chemiekonzern engagiert. Die deutschen und die amerikanischen Geschäftsinteressen wurden unter anderem koordiniert von Allan Dulles, dem undurchsichtigen Chef des US-Geheimdienstes OSS, dem Vorläufer der CIA. Dulles operierte von Bern aus.
Die Auflösung scheiterte
Im Zweiten Weltkrieg verlor die BIZ definitiv ihre Unschuld. Die Nazis überfielen die Tschechoslowakei. Zuvor hatte die tschechoslowakische Zentralbank ihr Gold bei der BIZ in Sicherheit gebracht. Vergeblich. Auf Druck der Nazis lieferte es die BIZ an die Deutschen. Zusammen mit der Schweizerischen Nationalbank und der Schwedischen Reichsbank war die BIZ in weitere, dubiose Goldtransfers mit den Deutschen involviert. «Die Neutralitätsbeteuerungen der Bank erwiesen sich bald als wertlos», schreibt LeBor. «Thomas McKittrick (der damalige amerikanische BIZ-Präsident, Anm. d. Red.) und sein Management verwandelten die BIZ de facto in einen Arm der Reichsbank.»
Nach dem Krieg stand die BIZ vor dem Aus. Ihre ursprüngliche Daseinsberechtigung, die deutschen Reparationszahlungen zu verteilen, gab es nicht mehr; ihr Ruf war mehr als angeschlagen. Tatsächlich gab es aufseiten der Amerikaner auch eine starke Fraktion, welche die Auflösung der BIZ verlangte.
Angeführt wurde sie von Henry Morgenthau und Harry Dexter White. Morgenthau war US-Finanzminister und einer der mächtigsten Männer in Washington. White hatte zusammen mit dem bedeutenden Ökonomen John Maynard Keynes die Verträge von Bretton Woods ausgehandelt, die Grundlage für zwei der bedeutendsten Institutionen der heutigen Zeit – den Internationalen Währungsfonds (IWF) und die Weltbank. Morgenthau und White hatten einen plausiblen Grund, die Abschaffung der BIZ zu fordern: Mit dem IWF und der Weltbank war sie überflüssig geworden.
Die beiden hatten aber Pech. Der damalige US-Präsident Harry S. Truman wurde abgelöst von Dwight D. Eisenhower, Morgenthau schied aus der Regierung aus und widmete sich dem Aufbau von Israel. White wurde unter fragwürdigen Umständen der Spionage für die Sowjetunion beschuldigt und verstarb vor seiner Einvernahme an einem Herzinfarkt.
Damit war das Feld frei für die einflussreichen Freunde der BIZ – für McKittrick, Dulles & Co. Sie sorgten dafür, dass die BIZ eine neue Aufgabe erhielt: die Koordination des wirtschaftlichen Aufbaus Europas. Und sie waren dafür verantwortlich, dass Schachts alte Seilschaften mit Samthandschuhen angefasst wurden: IG-Farben-Chef Schmitz erhielt eine vierjährige Gefängnisstrafe und wurde vorzeitig entlassen.
Herman Abs, der spätere Chef der Deutschen Bank, war zwar kein aktiver Nazi, aber eine zentrale Figur in der Wirtschaft des Dritten Reiches. Dank seinen Verbindungen zum Gentlemen’s Club der BIZ wurde er nicht zur Verantwortung gezogen. Karl Blessing schliesslich wurde der erste Präsident der Deutschen Bundesbank. Im Krieg hatte er als Chef von Kontinental-Öl zusammen mit der SS mehrere Konzentrationslager im Osten betrieben. Die BIZ besass damals schon grosses Wissen im internationalen Finanzgeschäft. Als Clearingbank der langsam entstehenden EU leistete sie wertvolle Dienste und entwickelte sich zu einer Art Vorläufer der Europäischen Zentralbank (EZB). Der ungarische Ökonom Alexandre Lamfalussy wurde als BIZ-Präsident von 1985 bis 1993 so etwas wie der Vater des Euro. 1994 wechselte er zum European Monetary Institute, das 1998 zur EZB ausgebaut wurde.
Das Diner im 18. Stock
Heute pilgern jährlich rund 5000 Mitarbeiter von Zentralbanken aus allen Erdteilen zum Turm in Basel. Sie nehmen an Konferenzen teil und werden in allen Bereichen ihrer Tätigkeit geschult. Auch Chefs der wichtigsten Zentralbanken treffen sich dort regelmässig für ein Wochenende. «Der exklusivste Club der Welt hat 18 Mitglieder», schildert LeBor. «Sie treffen sich alle zwei Monate am Sonntag um 19 Uhr in Konferenzraum E. Ihre Diskussionen dauern eine Stunde, manchmal eineinhalb. Nach dem Meeting verlassen die Assistenzen den Raum. Die übrigen begeben sich zum Diner im Diningroom im 18. Stock. Sie wissen, dass Essen und Wein superb sein werden. Das Essen dauert bis 23 Uhr, gelegentlich bis Mitternacht. Hier findet die eigentliche Arbeit statt. Doch von allem, was an diesem Tisch gesprochen wird, dringt kein Wort an die Öffentlichkeit.»
Montagu Normans Traum hat sich erfüllt. Die BIZ ist zu einem Gentlemen’s Club der Zentralbanker geworden, zum Ort, wo sich Ben Bernanke, Mark Carney, Mario Draghi, Sir Mervyn King, Jens Weidemann, Zhou Xiaochuan etc. treffen und sich über die Probleme der Welt unterhalten. Sie müssen darüber niemandem Rechenschaft ablegen und keine Sinnkrisen befürchten. Die BIZ hat alle Hände voll zu tun. «Was immer für Aufgaben die Zukunft bereitstellen wird, der Zusammenbruch der Eurozone, eine Vertiefung der Finanzkrise oder selbst ein Krieg: Bank-Insider sind sich einig, es wird stets einen finanziellen Vermittler brauchen, der sich zwischen den Fronten bewegt und hinter den Vorhängen die Fäden zieht», stellt LeBor fest. Und das wird die BIZ sein. (Tages-Anzeiger)