Das gallische Dorf ist beliebt
Umfrageergebnisse in der „Weltwoche“: Breite Mehrheiten für Beitritt zur Schweiz
Kein Witz: Deutsche, Franzosen, Italiener und Österreicher möchten der Eidgenossenschaft beitreten
Am 11. Juni berichtete eigentümlich frei online über eine kleine Sensation: Führende Politiker der Schweizer Volkspartei „fordern eine Verfassungsänderung, nach der Regionen angrenzender EU-Staaten als Schweizer Kantone den Beitritt zur Eidgenossenschaft beantragen können. Aus Frankreich sollen das Elsass, Jura, Ain und Savoyen, aus Italien Aosta, Bozen und Varese, aus Österreich der Vorarlberg und aus Deutschland Baden-Württemberg beitreten dürfen. Die Menschen jener Regionen litten unter ihrer nationalen und europäischen politischen Klasse und wünschten eine Demokratie der Nähe mit menschlichem Antlitz.“
Im aktuellen Heft (ef 104) kommentiert der Herausgeber: „Da berichten deutsche Zeitungen empört über eine Initiative der Schweizer Volkspartei, die eine Verfassungsänderung beantragt, nach der auf Wunsch Regionen aus Nachbarländern der Schweiz beitreten dürften. Schweizintern ist es eine Initiative, die den EU-Beitrittswunsch der Linken im Lande ad absurdum führen möchte. Und wie reagieren deutsche Leser etwa im Internet bei Welt.de?
Weit mehr als 90 Prozent sind schlicht begeistert und wollen ‚lieber heute als morgen Schweizer werden’. Unzählige Deutsche flehen: ‚Nehmt uns auch auf!’ – während doch eigentlich die patriotische Welle zur Fußball-WM anrollen sollte. Als die Stimmung gegen die hiesige Politik allzu offensichtlich wird, schließt die ‚Welt’ wieder einmal den Kommentarbereich.“
Die Kollegen der Schweizer „Weltwoche“ bestätigen nun in ihrer heute erschienenen aktuellen Ausgabe (Nr. 28) diesen Eindruck. Sie haben eigens ein Umfrageinstitut beauftragt. Das Ergebnis: „Eine Mehrheit der Stimmberechtigten in den grenznahen Regionen Deutschlands, Frankreichs, Italiens und Österreichs möchte der Schweiz beitreten. Als besonders attraktiv gelten bei den Nachbarn die tiefen Steuern und die direkte Demokratie.“
Ob es sich nur um einen Spaß handele, fragt sich Autor Philipp Gut: „Oder ist es unseren Nachbarn vielleicht doch ernst – ernster, als es Kommentatoren und Politikern lieb sein könnte? Besteht tatsächlich so etwas wie ein Wunsch nach kollektivem politischem Asyl in der Schweiz?“
Die Ergebnisse der Umfrage durch das Institut Swiss Opinion sind eindeutig. Gut schreibt: „Trotz dem (zumindest vorläufig) noch vagen und eher unwahrscheinlichen Charakter eines Rundumbeitritts zur Schweiz kommen die Ergebnisse einem mittleren politischen Erdbeben gleich. Überraschend beantworten die Wahlberechtigten in sämtlichen Ländern und untersuchten Regionen die Frage nach einem Beitritt zur Schweiz mit Ja. Am deutlichsten ist der Wille zum Anschluss in Vorarlberg: 52 Prozent Ja-Stimmen stehen hier 35 Prozent Nein-Stimmen gegenüber (Weiß nicht / Keine Angabe: 13 Prozent). Auch in den anderen Regionen sind die Resultate eindeutig. 48 Prozent der Wahlberechtigten im süddeutschen Bundesland Baden-Württemberg würden lieber zur Schweiz gehören als zu Deutschland. 40 Prozent sind gegen einen Beitritt zur Schweiz (12 Prozent sind unentschlossen). Im Durchschnitt aller vier Länder/Regionen sagen 50 Prozent der Bürger Ja zu einem Schweiz-Beitritt, der Nein-Anteil beträgt 40 Prozent. Dabei zeigen sich zwei kristallklare Trends: Junge und politisch eher rechts stehende Personen sind mit überwältigendem Mehr für einen Beitritt zur Schweiz, Linke und alte Menschen möchten am Bestehenden festhalten.“
Auch die Gründe für das Votum sind nach Zusatzfragen eindeutig. Erstens: „Einhellig und überaus deutlich fällt das Verdikt beim Vergleich der wirtschaftlichen und steuerlichen Anziehungskraft aus. Rund 70 bis 80 Prozent der Befragten sehen die Schweiz als Wirtschaftsstandort gegenüber ihrem Heimatland im Vorteil“, so die „Weltwoche“. Zweitens: „Zu den Hauptgründen für den erstaunlichen Beitrittswunsch der Nachbarn zählt neben der allgemeinen Lebensqualität und den ökonomischen Bedingungen offenbar auch das eigenwillige politische Modell der Schweiz. Die direkte Demokratie wäre ein Exportschlager – falls sie denn zugelassen würde. Zwischen 72 (Savoyen/Hochsavoyen) und 82 Prozent (Como/Varese) der Wahlberechtigten in den Nachbarregionen möchten nach Schweizer Vorbild in Sachfragen abstimmen dürfen“, klärt Gut auf.
Allerdings hat die „Weltwoche“ auch nach dem Wunsch zum Austritt aus der Europäischen Union gefragt und diese Frage wird in keiner Region mit Ja beantwortet. „Stehen diese Ergebnisse nicht in Widerspruch zum klaren Ja in der Frage eines Beitritts zum Nicht-EU-Land Schweiz“, orakelt die „Weltwoche“. Gut versucht eine Antwort: „Bei genauerer Betrachtung zeigt sich: Die beiden Resultate sind durchaus logisch vereinbar. Wenn ein Vorarlberger wünscht, die eigene Region möge sich zur Schweiz schlagen, bedeutet das nicht, dass er deshalb auch der Ansicht sein muss, Österreich sollte sich aus der Union verabschieden. Kurz: Die Nachbarn wollen zwar raus aus der EU, aber sie wollen nicht, dass diese zusammenkracht.“
So oder so: „Der Kernbefund bleibt erschütternd, weniger für die Schweiz als für die EU-Nachbarn. Wenn man sich vorstellt, wie viel es braucht, bis ein Mensch in einem entwickelten Staat ohne ethnische oder sonstige Verwerfungen dazu kommt, der eigenen Nation und ihrer stolzen Tradition tschüs zu sagen und stattdessen um kollektive Aufnahme bei einem durch und durch unglamourösen, bescheidenen Zwerg in der Nachbarschaft zu ersuchen – so kann man ungefähr ermessen, wie viel im Argen liegt. Kann es ein kraftvolleres Misstrauensvotum geben als der Wunsch nach Abspaltung und Anschluss an den Winzling, der so gern als anachronistische Insel bezeichnet wird?“
Ja mehr noch: Hier ticke, so die „Weltwoche“, womöglich „eine Zeitbombe, die nicht dadurch entschärft wird, dass die Regierungen in Berlin, Wien, Paris, Rom und die EU-Zentrale in Brüssel sie ignorieren. Die Bürger der Nachbarstaaten wollen offensichtlich genau das, was die Schweiz auszeichnet: weitreichende politische Mitbestimmung, ökonomische Freiheiten, tiefe Steuern. Es ist das Gegenprogramm zur EU.“
(Quelle)